Gitarren
Seit Beginn seiner professionellen Karriere
in der Band von Gary Burton im Jahre 1990 favorisiert Kurt
semiakustische
Gitarren. Bereits während seiner Studienzeit am Berklee College Of
Music in Boston wurde er mit einer schwarzen Yamaha SA 2100 gesichtet,
die er auch auf der Trio-CD "East Coast Love Affair" einsetzt. Seine
zweite
CD unter eigenem Namen "Intuit" spielte er mit einer braunen Gibson 325
ein, während er auf Chris Cheek's "I wish I knew" auch eine Gibson
TD 125 und ein Gretsch Tennessee Model (mit modifizierten Pickups)
verwendet
hat. Auf jüngeren Platten wie "Perception" mit der Brian Blade
Fellowship
oder Mark Turners "Ballads" ist ein weißes Gibson 335 Studiomodel
zu hören, von Brian Blade liebevoll "Albinogitarre" getauft.
Für
sein neuestes Werk als Leader, "Enemies Of Energy", verwendete er eine
rote Gibson 355 und eine von seinem Bassisten Ben Street in der
Türkei
erstandene, rein akustische Nylonsaitengitarre unbekannter Herkunft.
Momentan
spielt Kurt eine reguläre schwarze Epiphone Emperor (Bj.2000),
bestückt
mit einem Standard 0.13er Satz ungeschliffener D'Addario Saiten, die er
mit einem sehr harten Dunlop Plektrum Jazztone 207 bearbeitet.
Nur einer Gitarre ist Kurt immer treu geblieben.
Bereits während seiner Studienzeit in Boston konnte man ihn an
sonnigen
Tagen auf dem Bordstein vor dem Berklee Mass.Ave Gebäude mit
"Stella"
antreffen. Diese aus dem Müll geangelte viersaitige Tenorgitarre
benutzt
Kurt z.B. auf "Polish Song" ("The Enemies Of Energy"). Ihre alternative
Stimmung ist nicht genau festgelegt und ändert sich bis heute mit
der Wetterlage.
Effekte und Amps
Obwohl Kurt der Jazzgitarrentradition verbunden
ist, unterscheidet er sich von vielen Gitarristen seiner Generation
durch
eine Offenheit für Technologie und neue Sounds. Seine Vorliebe
für
eher mittig klingende Halbresonanzgitarren erklärt sich aus einem
stark ausgeprägten Sinn für klangliche Ausgewogenheit
innerhalb
seines Trios. Eine zu dunkel klingende Gitarre läuft, laut Kurt,
selbst
in höheren Lagen gespielt, Gefahr in Konflikt mit dem Bass zu
geraten.
Von der Gitarre geht Kurt über einen RAT Verzerrer (wie er z.B.
auch
von Scofield gespielt wird) in ein Line 6 Delay, gefolgt von einem
Lexicon
MPX100 Effektprozessor (von dessen zahlreichen Programmen er fast
ausschließlich
ein "Hall" oder "Large Plate" Programm nutzt) und schließlich
einen
Polytone Bassverstärker (mit 15' Lautsprecher) aus den 80er
Jahren.
Ältere Polytone Verstärker klingen für Kurts Ohren
deutlich
besser als die neueren Modelle. Sein Setup aus Berkleezeiten mit
Endstufe
und Boogie Lautsprechern ist im Zuge von allgemeinen
Abrüstungsverhandlungen
der einfachen Bewaffnung mit einem Verstärker gewichen. Für
CD-Einspielungen
lässt sich Kurt am liebsten nur ein Mikrofon vor den Amp stellen.
Auf einigen CD's nimmt auch ein weiteres Mikrofon seine Falsett Stimme
auf, mit der er seine Lines und die Oberstimme seiner Akkorde unisono
begleitet,
und die er als wesentlichen und festen Bestandteil seines Sounds
ansieht.
Spieltechnik
Kurt auf die Finger zu schauen, macht schnell
deutlich, daß er sich ausgiebig mit allen Aspekten seines
Instrument
beschäftigt hat. Auffällig ist, daß er Lines
überwiegend
mit den ersten drei Fingern der linken Hand spielt, wobei der
Mittelfinger
eine Art Anker darstellt, von dem aus er den Zeigefinger ggf. Richtung
Sattel überstreckt. Sowohl horizontal als auch vertikal scheint
das
Griffbrett für ihn keine Geheimnisse mehr zu bergen. Bei schnellen
Arpeggien verwendet er auch gerne Aufschläge des Ringfingers.
Ergänzt
wird seine ausgezeichnete Technik durch ein extrem sicheres Picking der
rechten Hand. Pädagogen und Lehrbuchautoren streiten sich gerne
über
die richtige Technik der Anschlagshand. Nach vielen Jahren des
Übens
ist Kurt zu der Erkenntnis gekommen, daß sowohl das Spiel aus dem
Ellbogen (für Geschwindigkeit), aus dem Handgelenk (Positionierung
der Hand über den Saiten), als auch der Finger (Artikulation) ihre
Verwendung und Vorteile haben. Angesprochen auf seinen kleinen Finger,
der sich gerne am Schlagbrett festhält, meint Kurt, daß es
ihn
selber störe bei schnelleren Tempi zu verkrampfen und er daran
arbeite,
ohne diese Stütze auszukommen. Akkorde spielt Kurt vorzugsweise in
der Kombination von zwischen Daumen und Zeigefinger gehaltenem Plektrum
und Fingern. Für viele Voicings bedient er sich des um den Hals
greifenden
Daumen. Technik übt Kurt nie als Selbstzweck sondern immer in
Kombination
mit einer musikalischen Aufgabe. Dazu erfindet er ständig eigene
Übungen
die er kontinuierlich weiterentwickelt. Systematisch im traditionellen
Sinn hat Kurt jedoch am Anfang seiner Karriere z.B. intensiv Lagenspiel
und Modi in allen Tonarten geübt - z.B. in Form von:
Tonleitern,
diversen Patterns (1-2-3-5) oder alternierenden vierstimmigen Arpeggien
(z.B. in C-Dur C-E-G-H aufsteigend, C - A - F - D absteigend, E - G - H
- D aufsteigend, E - C - A - F absteigend etc.) in Dur, Melodisch und
Harmonisch
Moll. Offensichtlich empfiehlt sich dies immer wieder als guter
Einstieg
in die Architektur des Griffbretts.
Improvisation
Kurt berichtet schmunzelnd, daß die
von Schülern und auf Workshops meistgestellte Frage lautet,
"Welche
Substitutionen er verwende". Wenig später stelle sich dann oft
heraus,
daß der Fragende drei Standards kennt... Obwohl harmonische
Analyse
und Substitutionen interessante Themen darstellen, empfiehlt Kurt
lieber
zunächst so viele Standards wie nur möglich zu lernen. Jeder
Standard hat etwas interessantes an harmonischen Wendungen, Melodien
etc.
zu bieten und jeder neu erlernte Standard bietet mehr Gelegenheit
Substitutionen
anzuwenden.
Bleibt nur noch die Frage: Welche Substitutionen
verwendet Kurt ?
Kurt ist ein großer Freund der Dreiklänge.
Oft spielt er z.B. die erste, vierte und fünfte Stufe der
verwandten
Dur oder Molltonart einer Harmonie. Die ersten Takte seines Solos auf
"How
Deep Is The Ocean" (von "Intuit") veranschaulichen dies gut. Dieses
Konzept
wird von Pianisten und Saxophonisten häufig angewandt. Kurt
betrachtet
es als Allgemeinwissen eines modernen Solisten und geht entsprechend
souverän
damit um. Ausführlicher als hier möglich wird dieser Ansatz
z.B.
in dem Buch "Intervallic Improvisation - The Modern Sound: A Step
Beyond
Linear Improvisation" von Walt Weiskopf (Jamey Aebersold) erklärt.
Beschäftigt hat sich Kurt auch mit
dem "Thesaurus Of Scales And Melodic Patterns" von Nicolas Slonimsky.
Diese
recht mathematisch angelegte reine Sammlung von unzähligen
intervallischen
Unterteilungen der Oktave findet sich in vielen
Bücherschränken
ambitionierter Jazzmusiker. Wie man sie auf einen Standard anwenden
kann,
bleibt vielen ein Rätsel. Auch Kurt geht dieser Frage noch nach,
jedoch
gefallen ihm die Slonimsky Patterns als eine "andere Art die Gitarre zu
sehen".
Stark beeinflußt worden ist Kurt auch
von John Coltrane. Transkribiert hat er z.B. seine Soli über
"Satellite",
"Oleo" und "Airegin". An Kompositionen mit drei tonalen Zentren wie dem
Klassiker "Giant Steps" arbeitete Kurt schon zu Berklee Schulzeiten.
Auch
an Bill Evans (Piano) Solo über "I Love You" erinnert er sich als
eine lohnende Transkription. In den letzten Jahren habe er weniger
transkribiert
aber wann immer er es tue würde es ihm viel bringen.
Fasziniert ist Kurt auch von bestimmten
Aspekten im Spiel der Pianisten Bud Powell und Keith Jarrett.
Interessanterweise
übt und spielt er Singlenotelines und Akkorde nicht getrennt
sondern
immer als Einheit, was einem pianistischen Konzept sehr nahe und mit
seinen
eigenständigen Sound ausmacht.
Voicings
Einigermaßen überrascht war ich
als Kurt aus seinem Koffer ein mindestens 15 Jahre altes
einigermaßen
antiquiert gesetztes Akkordmelodie-Arrangement aus dem Berklee Guitar
Department
fischte. Daß ein so versierter Spieler wie Kurt sich bis heute
alle
Quellen offen hält, spricht für sich. Neben einer intensiven
Beschäftigung mit Harmonien im allgemeinen (anhand von Standards
etc.),
hat Kurt auch konkret mit George Van Eps' "Harmonic Mechanisms For
Guitar"
gearbeitet. Dieses bibelähnliche Lehrbuch in der handlichen
Telefonbuchausgabe
adressiert vorwiegend Dreiklänge in all ihren Permutationen und
Stringsets.
Als für sich persönlich besonders interessant erwähnt
Kurt
die Beschäftigung mit den Harmonisch Moll Dreiklängen und die
aufgezeigten Möglichkeiten der Stimmbewegung innerhalb von
Voicings.
In seiner Spielpraxis finden sich tatsächlich viele
Dreiklänge
und Doublestops, die er nahtlos in seine Improvisationslinien
einflechtet.
Eine weitere Übung der sich Kurt gerne unterzieht ist über
einen
Standard auf jedem Viertel oder in Halben Noten je ein neues Voicing zu
spielen.
Kurt ist auch ein versierter Pianist. Seine
Mutter (eine ausgebildete klassische Pianstin) und sein Vater
(Architekt
und Hobbypianist) weckten in ihm schon als Kind die Freude am
Improvisieren.
Seine Liebe zum Klavier ist groß. Auf Tourneen mit dem ebenfalls
Klavierbesessenen Schlagzeuger Jorge Rossy soll es bereits zu wilden
Kämpfen
um das Klavier in der Hotel Lobby gekommen sein. Begeistert spielt er
Stücke
von Thelonious Monk oder ein "Eyes So Beautiful As Yours" von Elmo
Hope,
dessen Chromatizismen und geschmackvoll eingesetzten Dissonanzen er
bewundert.
Er selbst sagt (und hört man genau hin, kann man es auch selbst
feststellen),
daß viele Ideen vom Klavier zur Gitarre wandern und umgekehrt.
Alternative
Stimmungen
Kurt berichtet, daß ihn sein Wissen
über Voicings an einem gewissen Punkt in eine Krise geführt
habe.
Für jede Harmonie ein oder mehrere Voicings zu haben, deren Klang
man schon vorher kennt, erübrigte es quasi dieses Voicing
überhaupt
noch zu spielen. Aus der Unzufriedenheit darüber, daß einem
die Finger diktieren welches Voicing gespielt wird, wählte Kurt
den
freiwilligen Akt der Selbstsabotage und begann seine Gitarre wahllos
umzustimmen.
Wer dies schon mal probiert hat, weiß, daß man so im
Handumdrehen
("Wirbelumdrehen") wieder zum Anfänger werden kann und sich wie
beim
ersten Mal nur auf sein Gehör verlassen muß. Genau das ist
es,
was Kurt damit erreichen wollte. Mehrere Jahre und viele Versuche
später
haben sich für Kurt einige öfters verwendete Stimmungen
herauskristallisiert.
Seine Lieblingsstimmung lautet von der hohen zur tiefen E-Saite: Eb
(Halbton
tiefer), Bb (HT tiefer), Ab (Ganzton höher), Db (HT tiefer), G
(Ganzton
tiefer) und Bb (Tritonus tiefer). Interessant sind an dieser Stimmung
insbesondere
die Möglichkeit zwischen "G" und "H"-Saite Ganz- und
Halbtonschritte
einfach zu realisieren und ein generell vollerer Sound. Genauer
betrachtet
verändern sich auch "nur" drei von sechs Saiten. E, H und D-Saite
behalten ihr Verhältnis zueinander, gewinnen jedoch durch ihre
("B-Tonart")
Stimmung an Wärme. Sein nächstes Verve Album wird diese
Stimmung
und damit komponierte Stücke erstmalig vorstellen.
Komposition
Nicht erst seit der CD "The Enemies Of Energy"
von deren zehn Originalen neun aus Kurt's Feder stammen, wird Kurt in
Musikerkreisen
auch als Komponist geschätzt. Komponieren beginnt für Kurt
meistens
mit irgend einer Entdeckung. Er vergleicht es mit dem Aufstoßen
einer
Tür. Einige seiner Kompositionen entspringen improvisatorischen
Übungen.
"Cubism" als Beispiel war ursprünglich ein Versuch Tonarten
innerhalb
einer Improvisationslinie zu wechseln. Das Resultat ist eine Form, die
in 12 Takten durch 12 Tonarten geht (also quasi viermal Coltrane's
Giant
Steps Drei-Tonikasystem). "Polish Song", ein inspiriertes
Sologitarrenstück,
entstand dagegen spontan als Improvisation in seinem Brooklyner
Appartment.
Angesprochen auf Vorbehalte vieler Musiker und Studenten gegenüber
ihren eigenen Stücken meint Kurt das beste am Komponieren sei,
"daß
man nicht aufhören muß bevor es einem gefällt".
Üben
Kreatives Üben ist für Kurt das
A und O. Denn oft zitierten Satz "So wie man übt so spielt man"
nimmt
er sehr ernst: "Wenn man gestresst übt wird man auch gestresst
spielen.
Gitarre Üben bedeutet auch, seine mentale Einstellung zu
trainieren."
Den Grundsatz praxisbezogen zu üben verfolgt Kurt konsequent: "Ich
improvisiere sehr viel. Wenn ich auf etwas stoße mit dem ich
nicht
gut vertraut bin, halte ich an und arbeite daran. Meist spiele ich frei
über einen Standard oder etwas anderes, komme an eine Stelle an
der
ich länger arbeite und improvisiere dann wieder. Wie eine Art
Discjockey
gehe ich dann vor und zurück bis ich mich mit dieser
Akkordverbindung,
oder was auch immer es gerade ist, wohl fühle. Im Laufe der Zeit
haben
sich so bestimmte Themen ergeben an denen ich regelmäßig
arbeite.
Ich erfinde ständig Übungen, um an bestimmten Dingen zu
arbeiten.
Zum Beispiel an Problemen die sich aus der Improvisation ergeben. Ich
bin
der Meinung, daß man selber sein bester Lehrer ist. Wenn ich mich
frage was meine Schwächen sind, weiß ich das ganz genau."
Talent
allein macht keinen Kurt Rosenwinkel. Ein Tag mit 4-8 Stunden an der
Gitarre
war früher keine Seltenheit. Heutzutage taucht Kurt übers
Jahr
nach eigenen Angaben gut zwei Monate unter, um derart der Gitarre zu
frönen:
"Nicht umsonst spricht man von harter Arbeit - aber es ist es wert.
Musik
war und ist eine Obsession für mich - In einem guten Sinne. Mir
kommt
es nicht so vor als ob ich hart gearbeitet hätte, weil ich immer
wieder
etwas entdeckt habe."
Kurt's Inselplatten
Beatles - "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club
Band"
David Bowie - "Ziggy Stardust"
Cameron De La Isla & Tomatito - Sampler
Ornette Coleman - "Live At Town Hall"
John Coltrane - "Coltrane`s Sound"
Keith Jarrett - "Still Life"
Bud Powell - Verve Box Set
Sergej Prokofiev - Klavierkonzert Nr.3
Maurice Ravel - "Music For Piano" - (gespielt
von Monique Haas)
Led Zeppelin - "Houses Of The Holy"
Kurt's
Gitarrenfavoriten
Paul Desmond & Jim Hall - Box Set
Kevin Eubanks - "Opening Night"
Tal Farlow - Verve Sampler
Grant Green - "The Latin Bit"
Pat Metheny - "Rejoicing"
Pat Metheny - "Offramp"
Pat Metheny - "Travels"
Pat Metheny - "Full Circle"
John Scofield - "Blue Matter"
George Van Eps - "Soliloquy"
Kurt Rosenwinkel
Ausgewählte Diskografie:
Kurt Rosenwinkel - Under It All (2001)
Kurt Rosenwinkel - Enemies Of Energy
(2000)
Kurt Rosenwinkel - Intuit (1999)
Kurt Rosenwinkel - East Coast Love Affair
(1996)
Chris Cheek - I Wish I Knew (1996)
Chris Potter - Vertigo (1998)
Gary Burton & Friends - Six Pack
(1992)
George Colligan - Unresolved (1999)
Human Feel - Speak To It (1996)
Human Feel - Welcome to Malpesta (1994)
Human Feel - Scatter (1991)
Jochen Rückert - Introduction (1997)
Larry Goldings - Big Stuff (1996)
Marcy Playground - Shapeshifter (1999)
Mark Turner - Ballad Sessions (2000)
Mark Turner - In This World (1998)
Mark Turner - Yam Yam (1994)
Once Blue - Once Blue (1995)
Paul Motian - Monk And Powell (1999)
Paul Motian - Flight Of The Bluejay
(1997)
Paul Motian - Reincarnation Of A Love
Bird (1994)
Paul Motian - Electric Bebop Band
(1993)
Perico Sambeat's - Ademuz (1997)
Seamus Blake - Stranger Things Have
Happened (1999)
Seamus Blake - Call (1993)
Tim Hagans - Animation - Imagination
(1999)
Sampler:
Blüth - Blüth (1998)
Jazz Sampler - Method To The Madness Part
1 (1998)
Various Artists - Monk to Bach (1998)
Various Artists - Guitar Music (1996)
© 2006 Christian
Rover